KIRGISTAN

SZENENWECHSEL

Wenn man ganz im Osten von Kasachstan nach Kirgistan rollt, kann der Kontrast nicht stärker ausfallen. Exakt ab Grenzzaun wird es grün, regnet leicht, Pferdeherden weiden, Bienenkörbe überall und dann erreicht man den Issyk Kul. Man wähnt sich am Meer und es überfällt einen die reinste Urlaubssehnsucht. Da kann man nichts machen, nur nachgeben. Wir machen Pause und das war im Nachhinein betrachtet defintiv auch richtig so. Denn alles, was danach kam, war sportlich genug, um von all der Erholung zu zehren: Paßstraßen über 3000m und von eher robuster Natur. Aber eines nach dem anderen ...

Issyk Kul & Karakol

Nach nunmehr 3 Monaten auf Achse gönnen wir uns ein paar unbeschwerte Tage am See und fühlen uns danach nicht nur so richtig gut erholt, sondern haben auch die weitere Wegstrecke vorplanen können. Bevor wir aber weiter und rauf auf die Paßstraßen rollen, legen wir noch einen Versorgungsstop in Karakol ein. Über den großen Basar dort zu schlendern, macht natürlich wesentlich mehr Laune als jeder Supermarkteinkauf. Allerhand Übersee-Container leben da in zweiter Karriere als Mini-Obi. Scheinbar gibt es in der Schraubermeile auch nix, was es nicht gibt, stellt sich aber bei genauer Betrachtung fast alles als Made in China und Murx heraus. 

Wir planen unsere Besuch in der Stadt so, daß wir pünktlich zum wöchentlichen Viehmarkt dort sein können. Das bedeutet zwar, ungewohnt zeitig aus den Federn zu kommen, ist aber alle mal die Überwindung wert!

Tash-Rabat

Am Stausee Orto-Tokoy vorbei rollen wir dann als erstes Richtung Südkigistan und übernachten unterwegs auf frischen 2.500m. Diese erste kirgisische Gebirgsetappe bringt uns auf alte (Wellblech) und neue (chinesischer Asphalt) Seidenstraße. Unser Ziel im Süden ist die uralte Karawanserei Tash-Rabat nahe der Grenze zu China. Es ist kaum etwas los, als wir hier eintreffen, und wir beschließen zu bleiben. Bedeutet allerdings: eine Nacht auf über 3.000m! Es ist deutlich zu spüren, wie dünne die Luft hier ist, alle Bewegungen werden deutlich sparsamer.

Passbilder

Die ersten Nächte im kirgisischen Gebirge haben uns also etwas kurzatmig gemacht, aber auch schon leicht trainiert für die Pamir-Pässe. Das nächste Etappenziel ist dann schon Osh am Beginn des Pamir-Highway. Aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen: wir wollen dorthin auf direktestem Wege via Bajetovo und Kazarman. Diese Strecke  führt über 3 Pässe, wovon 2 nur zu dieser Jahreszeit zu befahren sind und zu empfehlen auch eher nur bei trockenem Wetter. Schnell geht's also nicht voran, aber es gibt viel für's Auge! Die Landschaft präsentiert sich in Pastell.  Paß Nr. 1 nennt sich (passend zum rötlichen Erdboden) folgendermaßen: 


М = M (arx)

   Э = E (ngels)

Л = L (enin)

С = S (talin)


Sattsehen ist gänzlich unmöglich. Der MELS-Paß gehört ab sofort definitiv zu unseren Top10 der Bergstraßen. Auch hier finden sich, wie in Kasachstan bereits gesehen, immer wieder Mausoleen am Weg, obwohl keine Ansiedlung in der Nähe und auch sonst die Landschaft leer und unbewohnt scheint. Vergängliche Spuren menschlichen Lebens in scheinbar ewig unveränderlicher Bergkulisse.

Dann geht es ein kurzes Stück zur Abwechselung ebenerdig weiter geradeaus. Wir passieren Bajetovo, rollen dann mit Schwung zum nächsten Aufstieg weiter nach Kazarman und werden dabei mit sensationellen Ausblicken belohnt, diesmal weit über die Naryn-Ebene hinweg.

Nach DSCHAL ABAD und UZGEN

Paßstraße Nr. 3 auf der Fahrt nach Osh folgt unmittelbar: der Kaldamo-Paß von Kazarman nach Dschal Abad. Derzeit die einzige Verbindung. Ein Tunnel ist zwar aktuell im Bau, aber erst in 2 Jahren etwa fertig. Danach wird die Straße über die Berge wohl eher nicht mehr genutzt und gepflegt,  denn Schnee ist hier einen Großteil des Jahres ein arges Hindernis. Für uns im Hochsommer natürlich kein Thema, aber Starkregen und Erdrutsch hätten uns genauso übel ausbremsen können. Während unserer Fahrt hat es nur genieselt - Glück gehabt. Mehr als 20 km/h im Schnitt ging trotzdem nicht.

Dschal Abad durchqueren wir nur, in Uzgen dagegen gibt es einen Versorgungsstop, denn der hiesige Basar soll ganz sehenswert sein. Die Mittagshitze brütet über der Stadt, als wir eintreffen. Aber der Ort sieht tatsächlich einladend aus und wir werden allenthalben überaus freundlich begrüßt, also nehmen wir uns die Zeit für einen Bummel und bringen ein paar Schuhe zum Schuster unseres Vertrauens.

Osh. Pamir Highway. Km 0

Dann sind wir endlich in Osh, der Stadt, hinter der die legendäre Hochstraße über den Pamir beginnt auf kirgisischer Seite beginnt. Bevor man Richtung Tadschikistan und die 4.000er Paßstraßen abbiegt, sollte hier besser alles erledigt, besorgt und organisiert werden, was Not tut. Der nächste echte Versorgungsstop kommt frühestens in ein paar Wochen in Sicht. Also ist Halt Nr. 1 der Supermarkt und Nr. 2 die Schraubermeile. Wir brauchen einen Edelstahl-Schweißer, sowas wie die Nadel im Heuhaufen, wie sich herausstellt. Es wird eine schweißtreibende Suche (während der wir lustigerweise allerhand deutschem Altmetall begegnen), aber sie gelingt, obwohl hier außer kirgisisch/russisch nichts gesprochen wird. So sind wir also ready to go, ab jetzt geht's richtig weit rauf!

Höhenanpassung

In Osh waren wir noch auf knapp unter 1.000m, am nächsten Übernachtungsplatz schon auf 2.235m, der Grenzübergang nach Tadschikistan mit dem ersten 4.000er Paß kommt kurz danach. Too much! Wir müssen es langsam angehen, damit uns nicht der Schnauf ausgeht, und entscheiden uns für's Base Camp am Peak Lenin noch auf kirgisischer Seite. 4 Tage Akklimatisierung auf 3.550m geben wir uns und derweil sogar mit nettem Unterhaltungsprogramm. Denn zufällig fand gerade das Mountain Travel Festival statt, das zwar touristisch klingt, es aber keineswegs war. Viel mehr very, very local, von und für Kirgisen, mit Reiterspielen und lokalen Köstlichkeiten. Ein wahres Fest für die Augen!

Übernachtung im Niemandsland

Wir verlassen die große Höhe erst einmal wieder und rollen zurück auf den Highway und zum kirgisischen Grenzposten. Die Ausreise aus Kirgistan ist zwar schnell erledigt, aber  da es bis zum tadschikischen Grenzposten noch etliche, sehr robuste Kilometer raufwärts zu absolvieren gilt und sich der Tag bereits dem Ende zu neigt, übernachten wir kurzerhand im Niemandsland. Ein zweiter deutscher Reiselaster von oben kommend gesellt sich noch dazu. Jeder läßt den anderen wissen, was es über die jeweilige nächste Reiseetappe zu wissen gilt und dann machen wir uns auf den Weg zum ersten 4.000er Paß an der Grenze zu Tadschikistan.