TÜRKEI

ISTANBUL

Wir sind nicht zum ersten Mal hier. Diese Stadt zieht uns immer wieder an, denn sobald zwei, drei Jahre vergehen, zeigt sie sich einem in wieder völlig neuem Licht. Aber besucht man sie dann mit dem eigenen Fahrzeug, wird einem auch klar: wo Licht ist, gibt es Schatten. Mit einem zweistellig tonnenschweren Fahrzeug und selbst mit einer Hupe der Bosporusdampferklasse ausgestattet, schindet man auf Istanbuls Straßen keinen Eindruck. Nix  Fahrdisziplin oder Vorausschau, ... aber gut, man paßt sich den Gepflogenheiten an und erreicht am Ende sein Ziel.

In der Stadt gibt es eigentlich nur noch einen guten Übernachtungsplatz, alles andere mußte Tunnelbau etc. weichen. Aber dieser Platz direkt am Zusammenfluss von Marmarameer und Bosporus direkt in Sultanahmed ist einfach genial gelegen! Man sieht die Frachtschiffe am Bosporus ein- und ausfahren, ab und an ziehen sogar Delphine vorbei!  Abends wird’s lebendig auf dem Parkplatz, dann kommen die Städter und nutzen ihn und das Meer wie Autokino. Natürlich schafft es jemand, auch hier frischen  Tee zu servieren, auch die typischen Sesamkringel kriegt man durch’s Autofenster geliefert. Oder gekochte Muscheln mit Reis, eßfertig appetitlich in den Muschelschalen verpackt und mit Zitrone angerichtet. Sehr zu empfehlen!

Aber auch unserer Nachbarn wegen haben wir die Zeit hier sehr genossen. Ein Karawan aus dem Iran parkte neben uns. Darin vier Perser, die als Scouts für ihren Verein "Persian Camper" das Terrain des Nachbarlandes erkunden.  Ausgedehnte Abende waren das mit ausgedehnten Gesprächen!

Ansonsten haben wir viele Stunden lang mit dem Moped Stadtteile erkundet, die wir in den Jahren zuvor nicht so „bequem“ in Reichweite hatten. Beyoglu oder Galata auf der anderen Seite des Goldenen Horns zum Beispiel mit ihren supersteilen Gassen und abgewohnten Wohnblöcken, jenseits der großen Hotels und schicken Konsulate. Da hacken Frauen Paletten in Stücke für Feuerholz, Wäsche wird auf der Straße gewaschen, die Kinder wuseln umeinander … Das Moped hat sich wieder einmal als echter Gewinn erwiesen! Außerdem hält es einem die Basaris auf Abstand, denn der Anblick von Mopedhelmen beim Einkauf verwirrt die dermaßen, daß sie vorübergehend ihre typischen Touri-Sprüche vergessen und bis sie sich wieder gesammelt haben, ist man schon weiter. Manchmal ist das Moped dann wiederum Türöffner. Zum Beispiel hütet während wir die Sokullu-Mehmed-Pascha-Moschee besichtigtenr der Wasserverkäufer gegenüber mal eben „eigenmächtig“ unser Zweirad, stellt es sich extra direkt vor den Laden, sicherheitshalber (?). Daraus ergab sich dann ein stundenlanges Gespräch mit ihm, seinen Nachbarn und deren Nachbarn …

Vier schöne Tage haben wir hier verbracht, aber die Türkei ist groß, wir wollen mehr sehen. In der Hauptpost besorgen wir noch flux die HGS-Vignette für Motorways und Brückenzoll und ziehen ab. Kein leichtes Unterfangen, wie zu erwarten, verschlimmert durch den gerade stattfindenden UNO-Gipfel - superwichtige Wagenkolonnen waren da unterwegs und wir dadurch ständig auf Umleitungen gezwungen. Aber dann ging es rauf auf die südliche Bosporusbrücke und an deren Ende stand es dann groß auf leuchtendem Untergrund: Welcome to Asia!

WEST-ANATOLISCHE SEEN

Wenn man den Großraum Istanbul per Fähre verläßt (wir haben uns für die relativ kurze Verbindung Eskihisar-Topcular entschieden), erlebt man pure Gegensätzlichkeit, es gibt keinen allmählichen Übergang, das Stadtgewusel endet aprubt mit dem Ablegen und das ländliche Leben empfängt einen unmittelbar nach Verlassen des Schiffes. Wohltuend! Unser Plan für die nächsten Tage ist, den westlichen Teil Zentralanatoliens anzuschauen und dabei nach Möglichkeit an den Ufern der zahlreichen Seen über Nacht Station zu machen.

Los geht es mit dem İznik See - die gleichnamige Stadt am Ostufer lieferte einstmals die wundervollen Kacheln für die Blaue Moschee in Istanbul und auch heute noch werden dort Fayencen produziert, u.a. auch recht schöne Schmuckstücke. Wir haben das Glück, just am Markttag dort einzutreffen und füllen unsere Vorräte mal wieder ordentlich mit Frischzeug auf. Der See wirkt zwar einladend, Baden wäre wunderbar, aber es ist erstaunlich kalt und stürmisch. Wir unternehmen ein paar Mopedtouren in den Regenpausen und bekommen kleinen Türkisch-Unterricht bei Muhit, einem Café- und Zeltplatzbesitzer ein paar 100m entfernt von unserem Stellplatz. Er hält uns wohl außerdem für unterernährt, wir müssen jedenfalls essen, was Küche und Garten so hergeben. Es gibt kiloweise frisch gepflückte Maulbeeren, sehr lecker!

Nicht weit entfernt von Eskişehir landen wir als nächstes am Porsuk-Stausee mit Scharen von Pelikanen, Kormoranen und Störchen. Man ist da ganz nah dran, wenn es einen Frosch erwischt. Wir stehen am Rande eines winzigen Dorfes, nicht viel mehr als 50 Einwohner. Schlichtes Leben augenscheinlich, die Häuser alt und krumm, man lebt von eigenen Tieren und eigenem Garten. Keine Kinder, keine Jugendlichen zu sehen, nette ältere Leute. Und hilfsbereit: als Peter gerade die fette Dreckkruste der letzten Pisten mit Bordmitteln vom Auto rubbeln will,  kommt ein Mann vorbei, lacht und bietet uns mal eben seinen Dampfstrahler an …

Kleine, schmale Straßen führen uns dann weiter über Hügel und durch weite, strahlende Mohnfelder (es gibt hier gar eine Stadt namens Afyon / Opium !). Unterwegs kommen wir durch Gebiete, die schätzungsweise vor 3000 Jahren schon von Phrygern bewohnte wurden (König Midas oder die Geschichte vom gordischen Knoten !).

Wir erreichen als nächstes den Eğirdir-See. Gelegenheit für eine kleine Stadtbesichtigung und Besorgungen in Eğirdir, dann halten wir auf die Berge zu. Es geht den Wegweisern nach über verschlungene Wege rauf in ein Hochtal. Wir wollen Adada anschauen - eine Ruinenstadt, die besonders gut erhalten und noch ganz „naturbelassen“ sein soll, d.h. ihre gründliche archäologische Aufarbeitung steht erst noch bevor. Wir werden nicht enttäuscht: man fährt quasi mitten hinein in die „alte Stadt“, überall liegen gut 2000 Jahre alte Tempelreste verstreut. Wir finden ein Theater, ein Forum, die alte Straße aus Steinquadern … Als wir im Schatten etwas verschnaufen, hält ein Auto mit 5 jungen Leuten. Sie stürmen auf uns zu, „Merhaba!“ und Hoş Geldeniz!“, Küsschen links und rechts für die Frau, fester Händedruck für den Mann, türkischer Redeschwall und Lachen, wir verstehen gar nichts, kommen uns für den Moment aber wie richtig alte Freunde vor, die lange nicht gesehen wurden. So voller Herzlichkeit! Und auch später noch, solange wir in Adada stehen, hupt und winkt ausnahmslos jeder beim Vorbeifahren, inklusive Jandarma. 

Nächster und letzter See ist der Beyşehir-See. Wir erreichen ihn über eine  Bergstraße entlang schneebedeckter 3000er. Pause ist angesagt, wir finden beim kleinen Ort Gölyaka einen idyllischen Platz am Ufer und bleiben. Wieder üppige Vogelwelt, Tierherden, Fischer kommen vorbei … Zeit für Rückschau auf unsere ersten 10 Tage im Land .

KONYA

Konya ist der nächste Halt. Es wird allenthalben als überaus konservativ beschrieben und wir erreichen die Stadt exakt zur Zeit des Freitagsgebets. Dutzende Muezzine rufen gleichzeitig von den Minaretten und kurz darauf steht man fast allein in der Gegend herum, die Straßen leer gefegt. Aber abgesehen davon scheint das Leben nicht konservativer zu verlaufen als anderswo in Anatolien. Wir schlendern ein wenig durch das nett hergerichtete Basarviertel, werden immer wieder „ermuntert“, doch Fotos nach Herzenslust zu machen und man lädt uns zum Tee ein, einfach so, weil wir gerade vorbeilaufen. Konya ist very, very busy. Gut ausgebautes Verkehrsnetz, moderne Straßenbahnen (von Skoda), liebevoll gepflegte Grünanlagen, ausgedehnte Industriegebiete am Stadtrand. Keine ausländischen Touristen - das hat zwar seine Vorzüge für uns, erstaunt uns allerdings auch etwas.


SULTANHANI

Aber wir kommen Kappadokien nun immer näher, es wird dort mit Sicherheit voller sein. Vorher noch Übernachtungsstop in Sultanhanı nahe Aksaray. Die Landschaft ist karg, Steppe, knochentrocken und wenn nicht ab und an der 3268m hohe Vulkan Hasan Dağı durch den Dunst scheinen würde, gäbe es rein gar nichts zu sehen. In Sultanhanı dann aber schon und zwar eine riesige Karawanserei in nahezu alter Pracht. Das ist natürlich die ultimative touristische Attraktion, aber auch hier rücken keine 40 Busse pro Tag mehr an, sondern maximal noch 4, wie uns ein Einwohner mit Leidensmine erzählt - kein Geschäft zu machen momentan. Auch nicht mit der Tradition der Teppichrestauration, die hier seit langer Zeiten in Perfektion gepflegt wird, aber nun kaum noch eine Familie ernähren kann. Wir stecken interessehalber mal einfach den Kopf in eine Restaurationswerkstatt hinein und diesmal resultiert daraus nicht nur die (mittlerweile gewohnte) Teerunde im Schneidersitz, sondern eine Einladung ins Haus der Familie. Wir verbringen dort einige schöne Stunden, werden mit Obst und frischem Ayran bewirtet, der kurz vorher definitiv noch in der Kuh war, die neben dem Haus grast. Es findet sich ein Cousin, der etwas Deutsch und Englisch spricht und so ergibt sich eine lockere Diskussion über „Gott und die Welt“.  Natürlich auch über DAS aktuelle Thema in der deutsch-türkischen Politik, die Armenien-Resolution unseres Parlaments, die die Leute hier ungemein aufregt. Wir werden seit ein paar Tagen quasi ständig und überall damit konfrontiert, sobald man uns als Deutsche erkennt. Aber bislang ist uns gegenüber niemand ungut geworden. Kurze Erregung ja, wobei wir aus den Tiraden auf Türkisch maximal „Allemania Problem“ herausfiltern können. Aber es folgt dann doch meist Tee und Lachen und fester Händedruck zum Abschied.

Und nun Kappadokien. Wir nähern uns dieser schier unglaublichen Landschaft von Südwesten. Der Start ist holprig. Die so gelobten Thermalquellen von Ziga fließen nicht mehr, wir sind enttäuscht. Dafür fließen die einheimischen Touristen in Strömen und machen uns Anfahrt und Besuch der Ihlara-Schlucht schier unmöglich. Also gut, Naturbesichtigung muß warten, konzentrieren wir uns vorerst auf Geschichtliches. Wir fahren Güzelyurt an - früher mit überwiegend griechischer Bevölkerung und einst christlich religiöses Schwergewicht. Es gibt eine Fülle alter, griechischer Kirchenruinen, die zum großen Teil direkt in Fels und Gestein gearbeitet wurden. Wir können unmittelbar neben der Ruine der Analipsis-Kirche hoch über dem Ort über Nacht stehen. Die Kirche ist wirklich ruiniert! Mit Schmierereien entweiht, als Urinal mißbraucht, nurmehr Hintergrund für Foto-Halligalli von Jugendlichen. Den Felsenkirchen im Klostertal (wohl bereits aus dem 3. oder 4. Jahrhundert!) geht es etwas besser, obwohl auch dort die wenigen Deckenfresken zerkratzt und mit Graffiti malträtiert wurden. Dagegen ist die St.-Georg-Kirche in gutem Zustand - sie ist heute Moschee („church mosque“, „…the frescos and decorations in the church were covered with protective paint“…).

Außerdem quetschen wir uns durch die Gänge einer sogenannten unterirdischen Stadt. Höhlenbehausungen wurden hier vor Ewigkeiten tief ins Felsinnere getrieben. Die Vorstellung, hier würden Menschen tagein tagaus ihr Leben fristen, ist faszinierend und schaurig zugleich. Die Durchgänge von Raum zu Raum sind so eng, die Durchstiege zu tieferen Stockwerken nur Löcher im Boden … wir haben nicht restlos erkundet, wie tief hinab es noch ging, tief jedenfalls. Fazit: für Güzelyurt kann man getrost mehrere Tage einplanen, wenn man alles gesehen haben will. Und montags ist übrigens Markt - immer ein lohnendes Ziel für Selbstkocher wie uns, Gemüse, Obst und Käse satt.

Inzwischen hat der Ramadan begonnen. Es scheint tatsächlich etwas ruhiger in den Ortschaften zuzugehen. Die alten Herren sitzen zwar wie gewohnt an ihren Teestubentischen - allerdings ohne Tee, soweit man sieht. Trotzdem haben einige Restaurants geöffnet und auch Gäste. Uns wird die hiesige Fastenzeit schätzungsweise nicht berühren.

KAPPADOKIEN

Wir konnten uns gleich für drei Nächte mitten hinein in die bizarre Landschaft platzieren. Im Gomeda-Tal bei Mustafapaşa standen wir an idyllischem Fleck, auf bestem Ausgangspunkt für lange Streifzüge zu Fuß durch das Tal, die Felsenkirchen und Wohnhöhlen und wir begegneten nahezu keiner Menschenseele dabei. Aber auch das Moped kam zum Einsatz für Ausflüge nach Göreme, Uchisar, Avanos … Insbesondere Göreme ist ja der eigentliche touristische Hotspot hier. Gehört bei Antalya-Urlaubern auch gerne zum Rahmenprogramm (wer kennt nicht diese wunderbare Ballon-Panorama-Ansicht im Morgengrauen, die so viele mit nachhause nehmen?!) Wir fanden den Ort nahezu verwaist vor. Drei, vier Asiaten sonst niemand unterwegs. Die komplette Armada an Safari-Jeeps verstaubt in den Garagen, die unzähligen Ballone stecken ungenutzt in den Depots. Und die Einheimischen sind am Verzweifeln, hier kommt gerade definitiv ein einträglicher Geschäftszweig zum Erliegen. Aber vielleicht erholt sich nun wenigstens die Natur. In Göreme sieht es aus wie auf dem Mond, da wächst kaum noch ein Grashalm - Ballonen, Jeeps und Quads sei Dank.  Wer Kappadokien eigentlich „erfunden“ hat, sind die Vulkane der Gegend natürlich, nicht zuletzt der Erciyes. Der ist  nun unser nächstes Ziel...

ERCİYES DAĞI

Er ist 3.916m hoch und noch dick schneebedeckt um diese Zeit. Wir kommen auf dem Weg dorthin durch kleine Orte mit stattlichen Villen - der Speckgürtel von Kayseri, eine der “türkischen Tiger-Städte“, wie es immer so schön heißt. Aber hier geht tatsächlich was voran, man sieht die Ausdehnung der Industrieanlagen besonders gut von oben. Wir haben es zumindest bis auf 2.650m mit unserem Dickschiff geschafft, weiter ließ uns der Schnee nicht fahren. Die Straße war defacto schon am Fuß des Berges zu Ende, aber es tat sich doch immer wieder eine Piste auf, die weiter nach oben führte, bis direkt vor die Hütte des türkischen „Alpenvereins“, die als Basislager für die Nordbesteigung dient. Über Nacht blieben wir allerdings am Kratersee etwas tiefer. Die Anfahrt war recht ruppig, die Tachonadel kam nicht nennenswert über 10 km/h, kein Esel auf dem Weg vor uns brauchte das Überholen  zu fürchten. Aber jeder Esel fürchtet sich natürlich vor uns, haha.  Der See war aber definitiv eine angemessene Belohnung für die Mühen. Ein paar wenige Hirten wohnten am Ufer in großen weißen Zelten, waren aber von früh bis spät mit ihren Herden am Wandern. Der Berg ist kahl gefressen, ohne Bewegung wäre für die Tiere gar nichts mehr zu holen. Und er ist durchlöchert von Abermillionen kleiner Wuseltierchen, die aussehen, wie Eichhörnchen ohne Schwanz. Sie sind überall und wuseln und fressen und jagen sich und haben uns damit auf’s Netteste unterhalten. Ansonsten Stille und Sonne und Beschaulichkeit. Wir wären gerne noch länger geblieben und das hätte wohl auch den Hirten gefallen. Einer brachte uns nach getaner Arbeit mal einen großen Pott frischer, melkwarmer Milch vorbei (Ziege? Schaf? Esel?). Sie war erstaunlich neutral im Geschmack, sehr cremig und damit wohl auch gehaltvoll ohne Ende. Perfekt für unser warmes Frühstücks-Haferflocken-Gemisch!


Und jetzt folgt eine ganz besondere Geschichte... Zwei Tagesreisen ist unser nächstes Ziel entfernt, d.h. 1x übernachten „auf der Etappe“. Dazu braucht es lediglich einen ruhigen Platz in schöner Natur, aber ohne großen Suchaufwand: eine Sackgasse, die von der Hauptstraße abgeht, ein Flüsschen daneben, der nächste Ort 5 km entfernt, perfekt. Am Morgen zeitig raus aus den Federn um weiterzukommen. Aber urplötzlich steht ein Auto vor uns auf dem Weg, kein Durchkommen. Zwei Männer vorm Küchenfenster, Schaufeln geschultert, ernste Miene rund um den schwarzen Schnauzbart. Kurzer Gruß, sie gehen wieder. Na gut, das wird sich regeln lassen, wir frühstücken erst in Ruhe. Dann raus aus der Haustüre: das Auto ist noch da. Und plötzlich auch wieder die Männer und ihre Schaufeln! Was wird das?! Kurzer Moment der Spannung …. dann lachen die beiden: „Merhaba! Hoş Geldeniz!! .. Ihr seid Deutsche, Ihr müßt mit ins Dorf kommen. Çay trinken!“ Ähm, eigentlich wollen wir ja weiter … Aber wir besinnen uns augenblicklich: Eile ist der falsche Ansatz! Um ein Land kennenzulernen, muß man mit den Leuten in Kontakt kommen. Also los, wir fahren ihnen nach ins Dorf. Und dort nimmt dann quasi das Schicksal seinen Lauf, denn kaum sind wir gelandet, wird uns auf wunderbare Weise die eigene Lebensführung komplett aus der Hand genommen. Aus einem Tee werden 2 Tage und Nächte am Ende einer staubigen, unbefestigten Straße, im kleinen Ort Yeşildere.

Ein ALEVITISCHES DORF namens YEŞILDERE

Schlafen „dürfen“ wir im Auto, davon lassen wir uns nicht abbringen. Aber gegessen wird zuhause bei Ercan (einer der zwei Schaufelträger und Dorfvorstand) und seiner Frau Meryem, ihren Nachbarn und Verwandten. Da das Dorf komplett alevitisch ist, wird auch unter tags ordentlich aufgetafelt - Fasten gehört hier nicht zur Tradition. Meryem kocht fantastisch! Sie macht eigenen Käse, bäckt ihr Fladenbrot selbst, baut allerhand Gemüse im Garten an … aber falls das nach bäuerlichem Ambiente klingt, täuscht das. Das Haus ist nahezu neu, hat mehrere Etagen, ist modern eingerichtet, die Küche voller Bosch-Geräte. Und die verschiedenen Nachbarn, die uns nun alle zu sich einladen - in Gärten, Küchen, auf Balkone und Fernsehsessel - sind überwiegend „Auslandstürken“. Sie haben in D, GB oder F gearbeitet, sind inzwischen in Rente und kommen jedes Jahr für die wärmsten Monate des Jahres zurück in ihr Dorf. Jeder erzählt seine Geschichte, jede Geschichte fügt unserem Bild von Türken und dem Islam ganz neue Facetten hinzu. Ercan schenkt uns seine komplette Zeit und erst später registrieren wir, daß er doch eigentlich hätte schlafen sollen. Er arbeitet (gscheit bewaffnet) des nachts im Sicherheitsdienst am nahen Staudamm. Er zeigt uns den Damm und fährt mit uns bis hinunter an seine Basis, wo gerade gigantische Wasserrohre (3,50 m im Durchmesser) in die Erde versenkt werden. Großes Baustellenkino!

Am nächsten Tag ist Mittwoch und Markt in der rund 30 km entfernten größeren Stadt  Afşin. Jeden Mittwoch fährt deshalb das ganze Dorf geschlossen dorthin, wir sollen unbedingt mitkommen, alle laden uns dazu ein. Wie könnten wir das ablehnen?! Ercan fährt und wir haben noch seine Tante, seine Cousine und ihre 2 Kinder an Bord. Lustig ist’s im Auto - türkischer Fahrstil, mal aus anderer Perspektive.

Die anderen gehen schon einkaufen, wir machen mit Ercan Sightseeing. Unser deutscher Reiseführer schweigt sich zur Umgegend komplett aus, völlig zu Unrecht! Hoch über dem Ort thront zum Beispiel eine komplett restaurierte, sehr sehenswerte Karawanserei aus seldschukischer Zeit und mit einer netten Legende von sieben, in einer Höhle schlafenden Jünglinge (den Siebenschläfern) drumherum. Wow! Dann schlendern wir durch die Stadt und über den Markt und treffen alle Nachbarn wieder: „Hallo, Guten Tag! Grüß Gott“ So geht das alle paar Meter in diesem uns völlig unbekannten Ort (mit immerhin 80.000 Einwohnern!). Dann muß Ercan Besorgungen machen und ein Bekannter begleitet uns weiter. Als der dann auch los muß, stellt sich uns die Frage: wie finden wir Ercan wieder bzw. umgekehrt? „Kein Problem, Ihr wartet einfach in dem kleinen Supermarkt da.“ ??? Ganz normal hier, die Läden haben alle Sitzgelegenheiten für die auf Abholung wartenden Leute aus den Dörfern. Und jeder kennt jeden und insbesondere Ercan, der Buschfunk meldet unseren Aufenthaltsort durch. Der Besitzer des Ladens parkt ganz selbstverständlich mal eben unsere Einkäufe in seiner Kühltheke neben den Milchprodukten. Und weil wir doch auch Unterhaltung brauchen, fängt er auf der Straße alle Bekannten mit Deutschkenntnissen ab, die prompt den Kopf zu uns reinstecken: „Hallo, wie geht’s? Wo wohnst Du? Wieviele Kinder hast Du? Magst Du Tee trinken?“ Und Ercan taucht auch wirklich irgendwann auf, läd uns wieder ein ins Auto und heim geht’s, zum Essen, klar.

Es ist großartig! Aber hin und wieder brauchen wir eine Pause und verkrümeln uns ins Auto. Es dauert jedoch nie lange, bis Meryem ruft: „Anja, Anja, Anja, Çay!“ Und dann geht’s halt wieder los und weiter ins nächste Nachbarhaus … Abends muß Ercan dann zur Arbeit, aber Meryem und ihrer Tochter nehmen uns mit zu Tante und Omas und dort sitzen wir im Wohnzimmer, knabbern Sonnenblumenkerne und schauen türkische Serien. 5, 6, 7 andere Verwandte kommen dazu, allerhand Kinder auch, alle sprechen Türkisch, keiner Deutsch, wir sind trotzdem in alles einbezogen, irgendwie versteht man sich doch immer, auch ohne Worte. Zum Abschied werden wir von den Omas gedrückt, geküßt, für Türk-Facebook fotografiert  und man drängt uns: „Bleibt noch 5 Tage, nein 10, egal wie lange!!! Das Haus da drüber ist gerade zu verkaufen!“

Aber wir fahren, wenn man reist, muß es weitergehen. Mit „einer Träne im Knopfloch“ aber übervoll mit Eindrücken ziehen wir weiter. Was für ein Dorf! Klein und unscheinbar, aber eine ganz große Welt für sich mit den herzlichsten Menschen, die man sich denken kann. Çok teşekkürler, DANKESCHÖN Ercan, Meryem, Hassan, Asiye und all den anderen in Yeşildere!

Auf dem GÖTTERTHRON

Quer durch das anatolische Hochland geht es weiter - vom Türkischen ins Kurdische, mal sunnitisch mal alevitisch geprägt. Den Süden haben wir dabei vernünftigerweise ausgespart und sind der syrischen Grenze nicht näher als bis auf knapp 100 km gekommen. Heißer Sommerwind weht inzwischen über die Steppengebiete, aber unser Weg führt uns immer wieder auf über 2000m in die Höhe, dort ist es angenehm und die nächtliche Kühle erholsam. Wir konnten zum Beispiel eine einsame Nacht hoch oben auf dem (Götter-)Berg Nemrut verbringen. Ihn krönt ein gigantisches Grabmal, heute UNESCO-Weltkulturerbe, Zeugnis unvorstellbaren Reichtums des vor gut 2000 Jahren untergegangenen Königreiches Kommagene. Das Gelände ist frei zugänglich für jedermann. Zwar gibt es Kassenhäuschen am Fuße des Berges, aber niemand kassiert die 5 Fahrzeuge ab, die da derzeit pro Tag höchstens vorbeikommen. Dabei ist selbst die einst beschwerliche Zufahrt über Arsameia inzwischen komfortabel und zweispurig gepflastert. Nur reichlich Zeit sollte man für den Weg einplanen, das starke Gefälle mit durchschnittlich 10% über 15 km ist recht ordentlich.

TUNCELI und das MUNZUR-TAL

Auf direktem Wege wären wir danach rasch am Van-See gewesen. Aber die Region nördlich des Keban-Stausees interessierte uns so sehr, daß wir gut 200 km Umweg in Kauf nahmen. Hinter Elazig geht eine Fähre über den See nach Pertek und von dort führt eine Gebirgspiste via Hozat nach Ovacık, einem alevitisch-kurdischen Dorf im malerischen Munzur-Tal. Kein Verkehr auf der Strecke, zero. Der Fahrweg wurde nach Winterschäden gerade so geflickt, daß es ein Fahrzeug noch eben am Hang entlang schafft. Die Bergkulisse ist wunderbar anzuschauen und noch schöner wär es ohne die alle paar Kilometer wie mittelalterliche Festungen auf dem Kamm thronenden Posten der Jandarma - da wird Präsenz gezeigt. Wir bleiben zwei Tage im Tal, übernachten direkt am Ufer des glasklaren Munzur, der in seinem weiteren Verlauf im geschichtsträchtigen Euphrat aufgeht. Als wir einen Abstecher bis ins hinterste Tal-Eck unternehmen, genießen wir wieder einmal die wunderbare Gastfreundschaft hierzulande: wir halten bei einem Hirtenlager, werden spontan zum Tee eingeladen und man teilt mit uns das Mittagessen, das gerade auf dem Gaskocher steht. Es hat ganz viel Idylle zu bieten, dieses von 3000ern eindrucksvoll umrahmte Tal!

Doch an seinem Ende liegt die Stadt Tunceli und dort erwartet uns später das genaue Gegenteil von Idylle. Wir wissen, daß sich gerade in dieser Gegend dramatische Ereignisse abgespielt haben und die Geschichte wirkt noch nach. Checkpoint am Ortseingang, schwere Panzerwagen, Maschinengewehre im Anschlag, Pässe raus, Auto öffnen … In der Stadt kaum weniger Militärpräsenz, Jandarma und Polizei schwer bewaffnet an jeder zweiten Kreuzung.   Uns behandelt man mit ausgesuchter Höflichkeit, wir fallen schließlich nicht „ins Beuteschema“.  Alle paar Kilometer rollen wir durch Videoüberwachung - wer uns ernsthaft suchen sollte, der findet uns eh im nu. An die Checkpoints und Panzerwagen gewöhnen wir uns. Und gewöhnen müssen wir uns von nun an auch daran, daß egal wo wir uns für die Nacht hinplatzieren, Einheimische kommen und nach dem Rechten sehen, sich erkundigen, ob uns auch nichts fehlt: Wasser oder Essen. Man ist hier nie sich selbst überlassen.

BOXENSTOP in VAN

5 Wochen sind seit unserer Einreise in die Türkei vergangen. Nun bewohnen wir wieder Plätzchen am See. Bzw. auch hoch oben am Krater des Vulkans Nemrut (Namensvetter des Götterbergs). Natur pur, es hoppeln Hasen herum und Schildkröten schnaufen rudelweise eine neben der anderen durchs Gras. Auch hier ist’s einsam, schaut so aus, als wären wir nachts allein auf dem Vulkan. Dummerweise   ist uns mal eben der Hydraulikschlauch für die Kippvorrichtung des Fahrerhauses gerissen, also ab zum MAN-Service Ost-Anatolien (1 Garage, 1 Mann). Und da wir schonmal da sind, wird auch gleich unser Druckluftproblem angepackt, das sich seit einiger Zeit bemerkbar macht: kaum wird die Geländetechnik zugeschaltet, ist die Luft aus dem Kessel. Wie vermutet, war die Kolbendichtung im Hydraulikventil das Problem. Die Luft zischte jedes Mal über das Getriebe davon. Es finden sich passende Ersatzteile bzw. was nicht paßt, wird passend gemacht. Jedenfalls haben sich die 5 Stunden in der Box absolut bezahlt gemacht! Super-Arbeit! Trotz überschaubarer Mittel, unser Bordwerkzeug war allerdings willkommene Ergänzung…

TÜRKISCH NEUSCHWANSTEIN

Unsere letzte Etappe in der Türkei geht zu Ende und unter all den Ländern, die wir mit LKW bisher bereist haben, ist die Türkei nun unser Favorit. Es gibt viel Bewegungsfreiraum was Stellplätze und Streckenwahl betrifft, eine „bezahlte Unterkunft“ erwies sich nur in Istanbul als nötig, aber Versorgungsmöglichkeiten gibt es dennoch landesweit im Überfluß. Mit 100 EUR pro Woche (plus Sprit) kommt man gut über die Runden, Trinkwasser gibt es aus öffentlichen Brunnen, frisches Obst und Gemüse auf den Märkten, Sprit ist günstiger als gedacht und eigentlich nicht teuerer als daheim. Und: man wird überall geradezu behütet von gastfreundlichen Menschen! Plus Natur und Kültür satt, für Auge und Geist.

Insgesamt sind es gut 4000 km geworden, die wir im Land zurückgelegt haben, und wir haben noch längst nicht alle interessanten Regionen gesehen. Daß wir schlußendlich auch noch eine Runde um den Van-See anhängten, hat sich nicht nur wegen des MAN-Service in der Stadt Van gelohnt. Der größte aller türkischen Seen mit seinem sauberen und seidenweichen Wasser (seifig, da vulkanisch) und die schneebedeckten 4000er drumherum … eine Schau! Es gibt schöne, stille Stellplätze an seinem Ufer und die eine oder andere günstige Tanke. Als wir uns irgendwann wieder Richtung Norden orientierten, führte eine ziemlich „robuste“ Gebirgsstrecke nahe ran an die Grenze zum Iran und der Gegenverkehr bestand dann hauptsächlich aus persischen Tanklastern, riesige „Urviecher“, die reinsten Filmrequisiten aus „Lohn der Angst“.

Der höchste Punkt der Strecke war auf 2600m zu verzeichnen. Hier und da mit freiem Blick auf den Ararat und auch ansonsten spektakuläre Landschaft. Vulkanspucke, schroff, Gestein aber kein Geröll (denn sowas Kantiges rollt nicht), schwarz oder in allen denkbaren Rottönen, keine Pflanzen. Bizarr. Nur zum Anschauen, weil unbewohnbar, für nichts nutzbar.

Besucht haben wir unterwegs noch das ehemalige Räuber- und Schmugglernest Doğubeyazıt. Es hat einen sehenswerten Palast zu bieten, der aufgrund von Lage und Aufmachung jeder Fototapete von Neuschwanstein Konkurrenz machen kann. Darüber hinaus bietet der Ort allerdings nix außer lärmendem Jungvolk, das einem vor lauter Unterbeschäftigung und Nichtsnutzigkeit den Nerv raubt. „Hello, Hello“-Geschrei beim Vorüberfahren geht ja noch. Aber Party nach dem Fastenbrechen mit Türk-UzUz-Mucke und Lagerfeuer im Windschatten unseres Dickschiffs plus scharfen Schüssen in die Luft kurz vor Mitternacht?! Nein Danke.

ANI

Dies ist nun dagegen ein wirklich schöner Ort! Ein kleines Dorf, das neben einem großräumigen Ruinenfeld liegt - für Armenier von ganz großer Bedeutung, einst Hauptstadt,  man kann von dort aus auch direkt nach Armenien hinüberschauen, ein Katzensprung. Aber: die Grenze ist geschlossen, nicht einen einzigen Übergang gibt es zwischen Türkiye und Ermenistan. Also: wieviele Armenier kommen wohl pro Tag hierher? Hm, und Ani ist NICHT auf der Weltkulturerbe-Liste. Tja, sei’s drum, das schmälert die Bedeutung nicht. Es lebten dort angeblich einst 100.000 Menschen, es gab an die 1.000 Kirchen, heute spaziert man über das Gelände zwischen Kühen und Pferden und Steinhaufen hindurch, die einst Gebäude waren. Immerhin, Archäologen arbeiten daran und irgendwann, irgendwann …  Wir reisen nun weiter nach Georgien und von dort aus nach >>> ARMENIEN