Wohin gehört Georgien, Europa oder Asien? In der Türkei weiß der Reisende sofort: das ist anders, ungewohnt. Und diese Überzeugung verstärkt sich mit jedem anatolischen Kilometer von West nach Ost. Doch noch weiter östlich, auf georgischem Boden, wirkt wieder vieles ganz vertraut. Da wehen (etwas vorgrifflich) EU-Flaggen an öffentlichen Gebäuden. Statt durch kahlgefressene Hügel und Hochsteppe führt einen der Weg durch ausgedehnte Wälder, man hört hin und wieder Kirchenglocken. In ehemals adeligen Residenzen werden dem Besucher stolz die sorgsam gehüteten Einrichtungsgegenstände von einst präsentiert: tadelloses Porzellan aus Ilmenau, Literatur aus Frankreich, Gemälde österreichischer Künstler, Klaviere in allen Räume und: Wein im Keller.
Georgien hat den Wein erfunden, so heißt es, es ist das Mutterland des Weines. Vielleicht ist die lokale Machart nicht nach jedermanns Geschmack, aber Wein prägt hier die Lebensart. Er kommt immer auf den Tisch, da kann der Gast kommen, wann er mag. Einmal bittet uns ein Imker zu sich in den Garten, als er uns mit dem Moped vorbeituckern sieht. Das war hart! Es war unsere erste Konfrontation mit georgischen Trinkgewohnheiten: Trinkspruch, Glas leer, Trinkspruch, Glas leer, Rezitation einiger Rustaweli-Verse, Glas leer, Trinkspruch, ... Lied, ... Ein anderes Mal kommen wir um die Mittagszeit mit dem Moped in einen Regenguss. Sofort winkt man uns hinein ins Trockene in eine winzige Hütte mit 2 Betten und einem überladenen Tisch: Äpfel, Brot, Käse, Fisch (plus Fliegenschwarm) und Wein, Kognak und Schnaps in großen Plastikflaschen. Wir sollen zulangen, bitte, und schon prasselt auch die Trinkspruchkanonade wieder auf uns ein. Auf die Freundschaft, den Frieden, die Gesundheit, die deutsche Arbeiterklasse (Stalin hängt an der Wand und schaut zu). Erbarmen!
Das sind die lustigen Begebenheiten, es gab jedoch auch ernstere und nachdenklich stimmende. Auf dem Kreuzpass der Georgischen Heerstrasse bauen zwei Mönche zur Zeit mit eigener Hände Arbeit ein Kloster auf. Es soll Menschenleben retten, als Zufluchtsstätte für all die versprengte Gestalten dienen, die sich im Winter auf die Straße dort wagen und im meterhohen Schnee zu erfrieren drohen. Wir sitzen mit den beiden, ganz in orthodoxes Schwarz gekleideten, relativ jungen Männern längere Zeit zusammen. Auch hier gibt es Wein, auch Tee und Brot. Aber keine Trinksprüchen, wir reden über Gott und die Welt, im wahrsten Sinne des Wortes. Georgien gefällt uns.
Was haben wir bislang gesehen? Die Mineralwasserstadt Bordschomi und die beeindruckenden Höhlenklöster von Wardzia zum Beispiel. Die Georgische Heerstrasse sind wir abgefahren bis zur russischen Grenze. Ein paar Pausetage gab es im malerischen Sno-Tal des Großen Kaukasus, den Vulkan Kasbeg immer vor Augen. Wir besuchten Kachetien und konnten in der Nähe von Telavi auf dem Weingut Schuchmann einige Tage stehen, uns von der Sonne und kulinarisch verwöhnen lassen.
Natürlich waren wir auch in der Hauptstadt, die interessant, sehenswert und insbesondere an den Abenden voll pulsierenden Lebens ist. In Tiflis war leider wieder Boxenstop angesagt, denn die Viskokupplung des Motorlüfterrads ist defekt. Peter hat sie notgedrungen blockiert und auf Bergetappen muß dazu noch die voll aufgedrehte Heizung unterstützen. Das ist kein Zustand und gehört repariert. Tiflis schien uns perfekt dafür, immerhin ist der örtliche MAN-Ableger beeindruckend groß und scheint professionell aufgezogen. Er erwies sich jedoch in unserem Fall als lausig. MAN fand keine Zeit für uns, kein passendes Ersatzteil und bemühte sich auch nicht um den Hauch einer Idee, wo MAN es herbekommen könnte. Sorry und Schulterzucken, mehr war auch nach mehrstündigem Warten nicht geboten. Null Engagement, sieht man mal von der abwegigen Idee ab, das eindeutig mechanische Problem mittels elektronischer Datenanalyse bearbeiten zu wollen! Nach gut 8000 km Strecke steht man dann da, hat eine spezialisierte, professionelle Werkstatt eines deutschen Unternehmens vor der Nase und kommt einfach nicht rein. Wie enttäuschend!
Nach Ushguli auf 2500m haben wir unseren Dicken gescheucht, dem laut Reiseführerdefinition „höchstgelegenen dauerhaft bewohnten Dorf Europas“. Von Mestia aus bedeutete das 46km anspruchsvolle Strecke - bei schönem Wetter mühsam, aber keine echte Hürde. Versucht hatten wir es davor bereits von der anderen Bergseite aus via Lentechi und den Sagar-Paß. Unmöglich, wir scheiterten an unserer Höhe. Die Piste dort ist dicht mit Bäumen gesäumt, deren Äste meist kaum mehr als 2m Fahrzeughöhe gestatten - wir brauchen 3,60m. Und irgendwann hört der Spaß am Sägen auf!
Die Atmosphäre im Dorf war ganz einzigartig. Etliche Touristen aus Ukraine, Aserbaidschan, Weißrussland, Schwaben … trifft man dort und genießt dennoch Abgeschiedenheit und ländliche Idylle mit Pferd, Rindvieh und freilaufenden Schweinen. Die Naturkulisse ist atemberaubend. Schneebedeckte 5000er, Gletscher, Höhensonne, Kühle (in der Früh nur 7 Grad). Tja, und dann fährt man mal eben nur 180km weiter und ist am Meer am Strand nahe der Abchasischen Grenze. Das Meer ist natürlich nicht schwarz, aber der Sand am Ufer schon. Es ist heiß und die Palmen kommen mit Schattenspenden nicht nach. Unsere letzten Tage im schönen Georgien. Ab jetzt geht's heimwärts und zwar wieder durch die Türkei, in der allerdings inzwischen Ausnahmezustand herrscht.