Auf schnellstem Wege ans Meer

HAKKARI

Die notgedrungen am Grenzübergang Esendere verbrachte Nacht war kurz. Wir starten zeitig, wollen auf keinen Fall Zeit verschenken, besorgen uns in Yüksekova in aller Eile SIM, Geld und Brot und dann schnell weiter immer direkt parallel entlang der Grenze zum Irak rauf in die Berge durch eine ganz unglaubliche Landschaft und durch zig Milität-Chekpoints. Wir merken bald, daß es verdammt knapp wird und immer knapper. Und stellen uns am Ende des Tages die Frage: war das jetzt Glück oder Pech, was uns passierte? Pech, weil uns der Schnee doch erwischt hat, viel früher und tiefer als erwartet? Oder Glück, weil wir es zumindest bis in den letzten Ort vorm Pass und auf einen ganz ordentlichen Parkplatz geschafft haben, statt irgendwo im Nirgendwo am Hang festzuhängen? Jedenfalls haben wir gefühlt den besten aller Plätze für die Nacht weit und breit in dieser Zeit! Wir warten vorerst zusammen mit einem guten Dutzend 40-Tonner auf den Räumtrupp. Die haben im Unterschied zu uns immerhin Ketten dabei, kommen damit allerdings vorerst auch nicht vom Fleck. Wenn die Vorhersage stimmt, kommt am nächsten Morgen für zwei Stunden die Sonne raus. Das würde uns theoretisch reichen, um auf die andere Seite des Berges und wieder runter zu kommen!

PERFEKTES TIMING

Es sind nur noch ein paar 100 Höhenmeter bis zum Pass und es schneit und regnet im Wechsel, die ganze Nacht durch. Im Laufe des nächsten Tages ist ein Temperatursturz und so richtig viel Schnee vorhergesagt, mit Ausnahme von 2 sonnigen Stunden am Vormittag, auf die wir nun alle Hoffnung setzten, denn andernfalls müssen wir uns wohl für einen längeren und ziemlich frostigen Aufenthalt an Ort und Stelle einrichten. Tatsächlich, es taut plötzlich und die Sonne zeigt sich zur angekündigten Stunde Im selben Moment kommt tatsächlich ein Grader die Straße rauf, wir stehen eh in den Startlöchern und hängen uns subito hinten dran. Hochwärts macht er uns den Weg schön frei, wendet am Pass allerdings. Ok, dann also sachte alleine runter. Sehr hilfreich, daß außer uns keiner unterwegs und im Weg ist, jede Serpentine ist ein echter Gewinn. Irgendwann ist der Schnee restlos weg, es regnet nur noch. Ziegenherden setzen sich Richtung Berge in Bewegung, das sieht nach Frühling aus!!! Als wir einige Zeit später tanken, erzählt man uns allerdings, daß die Straße inzwischen gesperrt und unpassierbar sei. Fast 2 Wochen hält die Kaltfront die halbe Türkei dann noch im eisigen Griff. Die Lawinenlage wird kritisch und man evakuiert was geht, der Flughafen Istanbul stellt zeitweise den Flugbetrieb ein... Wir sind derweilen auf dem sicheren Weg zum Mittelmeer, auf der D400, überqueren den Tigris und nehmen endlich Gas weg. Bewegen uns gemächlich an Mesopotamiens nördlichem Rand entlang, der Grenze zu  Syrien folgend. In der Nähe von Mardin sehen wir dann tatsächlich die ersten Bäumchen blühen. Das Syrisch-orthodoxes Kloster Dayro d-Mor Hananyo (oder auch Safrankloster genannt) liegt inmitten ausgedehnter Olivenhaine. Mit offenen Türen für Gäste, einem geräumigen Parkplatz, eigenem Wein, Kamin. Viel zu einladend, um gleich weiterzufahren. Willkommene kleine Reisepause ...

Şanlıurfa

Die kleine Reisepause am Kloster ist vorbei, die nächste folgt sogleich, wir haben Urfa erreicht. Und das ist Liebe auf den ersten Blick! Ein uralter Ort, aus Geschichtsbüchern, weit weg in der Zeit und doch von dieser Welt! Wir bleiben ein paar Tage, trotz Eiseskälte, tagsüber um die 0° und Schneeregen, kaum zu glauben, daß hier ausgewachsene Palmen wachsen! Dick eingepackt streifen wir durch den orientalischen Basar mit all den unübersichtlichen Gassen, kleinen Geschäften, geschäftigen Workshops. Man müßte eigentlich direkt mit den Augen fotografieren können, um all das Besondere festzuhalten, insbesondere hier! Lieblingsplatz: eine kleine Schmiede, ein herrlich warmes Plätzchen in diesen kalten Zeiten! Und wer was Gscheits gelernt hat, darf sogar mitmachen  ;o) Unser letzter Spaziergang führt uns dann mitten durch die Geschichte. Im archäologischen Museum, das sollte man wirklich auf keinen Fall auslassen. Es ist erstaunlich, was hier an Fundstücken aus der näheren Umgebung zusammengetragen wurde. Es verschafft einem auch, falls nötig, Klarheit darüber, was eigentlich unter Nike und Amazon zu verstehen ist, haha. Aber nun geht's endlich wieder weiter. Nächster Halt: Euphrat.

HATAY

Natürlich übernachten wir direkt am Euphrat, da wir nun einmal da sind, bzw. campen endlich wieder, denn die Temperaturen sind inzwischen deutlich im Plus. Stühle und Grill kommen zum Abendessen raus und Fisch auf den Tisch.

Tendenziell geht's für uns gen Westen, aber da die Levante so nah ist: kurzer Abstecher in den Süden nach Hatay. Einen Blick auf den Keldağ werfen, der zum Teil schon in Syrien liegt. Durch den gut 2000 Jahre alten Titus Tunnel wandern. Und dann einfach weiter die Mittelmeerküste entlang. Unterwegs Halt an einer Reifenwerkstatt. Der kaputte Schlappen wird zwecks Entsorgung übergeben und ist nun weg vom Heck.

MERSIN

Dann endlich wieder Küste. Endlich wieder warme Sonne! Eigentlich hatten wir nur zum Mittagessen in einen kleinen Hafen fahren wollen. Aber da war da dieser Feldweg oberhalb davon. Da müssen wir doch mal schauen, was am Ende ist! Plötzlich stehen wir mitten in einem Ruinenfeld. Akkale (nachgegoogelt, Schilder waren vor Ort nirgends zu sehen), ein Palast aus spätrömischer Zeit, 5. Jahrhundert, der steht da einfach so in der Landschaft. Und wir nun daneben für gleich 3 Nächte, völlig ungestört mit weitem Blick über das Meer. Und da es nicht oft der Fall ist, daß wir im Abseits parken und gleichzeitig ein gutes Fischrestaurant in Laufweite haben, also Gelegenheit nutzen! Wir sind offensichtlich nicht die einzigen Interessenten.

BACK on TRACK in MANAVGAT

Kurz vor Antalya kommen wir nach Manavgat. Übernachten unter Pinien, das Meer liegt hinter uns, nur 50m etwa. Ein schönes Gemisch aus See- und Waldluft haben wir hier. Und sowas wie einen feierlichen Moment, denn auf der Hinreise, fast genau vor 3 Jahren, waren wir zuletzt genau hier. Vor Pandemie und Ukrainekrieg. Und erst jetzt, mit schier endloser Verspätung, schliesst sich der Kreis. Hätte uns das damals einer geweissagt: völlig unglaubwürdig! Urplötzlich geschlossene Grenzen und Flughäfen und völlige Ungewissheit, wann es weiter und zurück nachhause geht... Aus heutiger Sicht eine auch schon wieder fast unglaubliche Geschichte, wer jetzt seine große Reise beginnt, denkt vermutlich auch wieder im Traum nicht daran, daß sich unterwegs derartige Hürden aufbauen könnten. Manches hat sich bereits wieder eingerenkt, gottseidank, aber die Pamirregion z.B. ließe sich aktuell noch immer nicht wieder bereisen, wie wir es in 2019 noch konnten. Hier in Manavgat hatten wir von all dem damals glücklicherweise keine Ahnung und waren voller Vorfreude. Jetzt sind wir voller Vorfreude auf Zuhause, ändern die Richtung, es geht direkt auf Europa zu.

SALDA GÖLÜ

Und es geht wieder ins  Gebirge. Den Salda Kratersee hatten wir von der Hinreise vor 3 Jahren noch in schöner Erinnerung, also liegt er auf der Rückreise auch wieder auf der Strecke. Mit so viel Zeitabstand schauen wir uns natürlich immer wieder danach um, was uns vertraut und was uns neu und überraschend vorkommt hier im Land. Zugenommen hat definitiv die Zahl an Campern mit türkischem Kennzeichen, in allen möglichen Variationen. Schön, hier so nette Gesellschaft zu haben, vielen Dank für die gemeinsame Zeit an Joke & Erik@youtubedonkeys Wir hoffen auf ein Wiedersehen!

STRECKE MACHEN

Wir kommen gut voran. Kurzer Werkstattstop in Denizli und Kulturstop in Laodikeia. Wir passieren Bergama und übernachten unter Olivenzweigen. Schlafen direkt am Meer bei Bademli. Gehen bei Çanakkale für eine letzte Nacht auf dem asiatischen Kontintent vor Anker. Rollen über die gerade frisch eröffnete, längste Hängebrücke der Welt nach Europa . Länge, Höhe der Pylonen, Eröffnungszeitpunkt... alles voller Symbolik und geschichtsträchtig. Und als Bauwerk ungeheuer imposant!

BYE-BYE TÜRKEI

Dann haben wir's geschafft, das Land komplett von Ost nach West durchquert. Sind diesmal nur kurz geblieben im Vergleich zu unseren früheren Besuchen, aber die Strecke war doch eine der ganz besonderen. Gut ist es uns ergangen und wir sagen: Çok teşekkürler! Allaha ısmarladık! Bis bald! Wir kommen auf jeden Fall wieder.

>>> Hier geht die Reise weiter.