ALBANIEN

 

Eine Truckcamper-Reise durch das Land der Skipetaren.

Albanien heutzutage als terra incognita zu bezeichnen, wäre übertrieben. Aber viel wussten wir tatsächlich nicht über diesen Teil der Balkanhalbinsel, hatten kaum eine Idee von dieser Gegend und ihren Bewohnern. Gehört hatten wir dagegen allerhand Vorurteile und Halbwahrheiten, bevor wir uns auf den Weg in dieses wunderbare Land machten: via Venedig mit der Fähre bis Igoumenitsa (Griechenland) und auf dem Landweg weiter über


Sarandë .. Himarë .. Logara-Pass .. Orikum .. Tragjas .. Vlorë .. Berat (das auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbe steht) .. Krujë .. mit der Fähre über den Koman-Stausee .. Valbona-Tal .. Kukës .. Peshkopi .. über die Grenze nach Mazedonien .. Ohrid-See .. zurück nach Albanien .. Pogradec .. Korçë .. Përmet .. Gjirokastër (ebenfalls auf der Weltkulturerbeliste) .. zurück nach Griechenland .. Meteora .. Igoumenitsa .. Venedig .. Därr-Globetrottertreffen bei Wasserburg


Übrigens, auf dieser Reise bekam unser "Sonder-Kfz Fernreise" seinen Namen verpasst. Und das ging so:

Wir rollen auf der LKW-Spur an die mazedonische Grenze heran, der Zöllner schaut ganz interessiert und wir beginnen mit unserer üblichen Erklärung, daß wir anstelle von Fracht eine kleine Wohnung geladen haben. Er lässt uns aber gar nicht erst ausreden, nickt nur wissend und meint: kennt er schon, ist ein Solitaire-Camper. Finden wir sehr treffend formuliert und behalten den Namen!

Wir starten mitten im Wonnemonat Mai des Jahres 2010 und erreichen Venedig bei schönstem Sonnenschein. Natürlich schauen wir uns vor Abfahrt erst noch die Lagunenstadt an. Und natürlich bringen wir erst noch einen Supermercato um allerhand italienische Köstlichkeiten, bevor wir uns verladen lassen. Wir haben einen Platz auf dem Campingdeck gebucht und können also während der Überfahrt selbstgemachte Brotzeiten, das eigene Bett und das eigene Bad genießen. Andere haben es nicht so komfortabel. Beim Spaziergang an Deck und durch die Hallen steigen wir permanent über die Nachtlager von Leuten, die auf Luftmatratzen oder Feldbetten kampieren. Die Ausfahrt aus Venedig ist großes Kino, denn das Schiff gleitet dicht an den Häuserzeilen vorbei durch die Kanäle. Aber bald schon ist Schluss mit lustig. Das Meer schäumt, die Bewegungsmelder einiger Fahrzeuge werden lautstark aktiv, die Nacht wird unruhig. Auch bei der Ankunft in Igoumenitsa (Griechenland) ist es stürmisch. Ein paar bedauernswerten Motorradfahrern weht es die Straßenkarte ins Meer.

Nach einer Verschnaufpause in einer einsamen griechischen Bucht rollen wir zwei Tage später an die albanische Grenze. Kein Schild weist auf den Übergang hin, er scheint aus griechischer Sicht überhaupt nicht erwähnenswert zu sein. Die Situation dort vermittelt in etwa den Eindruck, den wir erwartet hatten. Horden junger Männer stehen augenscheinlich grundlos in der Gegend herum. Ein griechischer Polizeilaster spuckt ein paar Aufgegriffene aus ... Uns begrüßt man auf albanischer Seite mit Handschlag, einem strahlenden Lächeln und einem deutschen "Herzlich Willkommen!" Unsere Formalitäten werden rasch, korrekt und sehr höflich erledigt und wir reisen ein ins Land der Skipetaren.

Eine anfangs prachtvolle Teerstraße verwandelt sich sehr bald in ihr absolutes Gegenteil. Die Fahrzeugschlange schaukelt sich Richtung Sarandë und selten kommen wir über 10 km/h. Zahlreiche Mercedesse kommen uns entgegen – das deutsche Länderkennzeichen prangt oft noch am Heck. Viele Laster hier gehörten ebenfalls einst deutschen Firmen, gut zu erkennen an den Werbeaufschriften. Sonst ist allerdings kaum etwas beschriftet, vor allem nicht der weitere Straßenverlauf. Man rät sich so voran. Wir erreichen Sarandë, eine nette Stadt am Meer mit Blick auf Korfu und im Sommer wohl einer Menge Tagesgästen von dort. Unser Dickschiff durch die Strassen zu zirkeln (wo allerhand SUVs repräsentativ in zweiter Reihe parken) ist Millimeterarbeit. Wir bummeln ein wenig über die Strandpromenade, genießen Linguine Vongole in einem sehr netten Strandlokal und „raten“ uns dann wieder aus der Stadt heraus, um uns in der nahen, ganz einsamen Kakomebucht einen Platz für die Nacht zu suchen. Der Abzweig dorthin ist schnell gefunden, die Zufahrt allerdings nicht. Der Weg wird immer anspruchsvoller, Vorgelege und Differenzialsperren leisten ganze Arbeit. Der Laster steigt wie eine Bergziege über Felsbrocken und macht notgedrungen allerhand Gehölz platt. Urplötzlich stehen wir vor einem verschlossenen Tor. Also: das Ganze rückwärts wieder runter, wenden ist erst sehr viel später wieder möglich. Dann verschlechtert sich auch noch das Wetter, der weitere Streckenverlauf wird zunehmend unklar. Wir beschließen kurzerhand, an Ort und Stelle zubleiben und beziehen einen schönen Stellplatz oberhalb der Bucht mit Meerblick auf der einen und Hügelblick auf der anderen Seite. Wunderschön und einsam!


Aber die Aussage „schöner, ruhiger Stellplatz“ muß dann doch zurückgenommen werden. Gegen 23 Uhr werden wir geweckt. Es fallen Schüsse. Wird hier gejagt?! Die werden doch bitteschön genau schauen, worauf sie zielen?! Plötzlich Maschinengewehrfeuer. Dumpfes staccato seewärts. Wir sitzen angespannt im Auto und warten. Dann der nächste Schusswechsel, und wieder einer. Unten, auf dem Wasser sehen wir Leuchtspurmunition. Mündungsfeuer von zwei Schiffen. Antwort vom Strand. Was spielt sich dort ab? Die Grenze zwischen der griechischen Insel Korfu und dem albanischen Festland ist an der schmalsten Stelle nur ca. 2km breit. Man sagt, die griechische Marine schießt an der Seegrenze grundsätzlich scharf auf Schmuggler in ihren Schnellbooten. Wir starren aus den Fenstern, jeder Busch scheint sich auf einmal zu bewegen. Zwischenzeitlich regnet es heftig  Auf einmal Scheinwerferkolonnen von der Talseite her. Kommt jetzt die albanische Polizei? Luftanhalten. Ein, zwei, drei …mehrere Pickups schleichen den Fahrweg herauf, es ist inzwischen nach Mitternacht. Fast erfassen uns die Scheinwerfer, da gehen die Lichter abrupt aus. Was passiert hier?! Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, dann rollen die Autos langsam weiter, kommen einige Zeit danach aber schon wieder zurück, fahren erneut an uns vorbei. Erleichterung. Unsere mausgraue Farbe vor den Felsen war vielleicht unsere Tarnkappe. Es stürmt, der Wind reißt am Auto und die Situation an unseren Nerven. Dann wird es langsam ruhig. Sollen wir schnell packen und abhauen? Wenn wir ohne Scheinwerfer fahren könnten, wäre das überlegenswert, aber die Bremslichter können wir nicht überlisten. Wir entscheiden uns für die Kaninchen- und nicht für die Hasentaktik. Gegen zwei Uhr wird es richtig still, wir schauen allenthalben auf die Uhr und warten auf den Sonnenaufgang. Es ist zermürbend, die Phantasie treibt ihre eigenen Blüten. Dann, endlich! Gegen Halbsechs ist die Nacht vorbei, wir rollen runter vom Berg. Ein paar Kilometer entfernt machen wir dann Halt für Frühstück und sind uns einig: was auch immer da los war – Schlepper, Schmuggler, Militärübung, … Wir werden es nie erfahren. Waren wir ernsthaft in Gefahr? Hatten wir Glück? Diese Nacht hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, doch lautet der einstimmige Beschluss der Besatzung: ein singuläres, unklares Ereignis ohne Bedeutung und ohne Lehren, die zu ziehen wäre.

Wir fahren weiter entlang der Albanischen Riviera durch kleine, verschlafene Orte und vorbei an einem von Enver Hodschas U-Boot-Bunkern. Wir landen in Himarë und beziehen Quartier für die Nacht am Strand - eingekuschelt hinter drei typisch albanische Minibunkern. Die Leute aus dem Ort sind gerade dabei, den Strand für die kommende Saison aufzuhübschen. Wir stören sie nicht, geben sie uns zu verstehen, können über Nacht bleiben. Am nächsten Tag machen wir uns an die Überquerung des  Logara-Passes (Höhe 1.027 m), der es mit Alpenpässen durchaus aufnehmen kann. Etliche Serpentinen, ganz beachtliche Steigung, schöne Ausblicke über Täler und die Küste. Die Straße ist gut in Schuß und auf der  Paßhöhe herrscht allerhand Geschäftigkeit: Restaurants, Bars, Hotel... Danach nähern wir uns wieder der Küste, durchfahren Orikum, machen einen Abstecher nach Tragjas - laut Reiseführer ein kleines, sehenswertes Dorf. Die angekündigte Kakteenallee wurde bedauerlicherweise justament an diesem Tag zwecks Neubaus einer geräumigeren Straße niedergemoppelt – die Walze fuhr noch. Ein etwas überdimensioniertes Hotel wurde im Buch erwähnt und wirklich: das „Grand Hotel“ passt weiß Gott nicht dorthin und man fragt sich, wer dort zu Gast sein könnte. Vielleicht gibt der nahegelegenen NATO-Stützpunkt dafür etwas her. Wir machen leicht enttäuscht kehrt und fahren weiter Richtung Vlorë. Ein Restaurant am nächsten, eine Strandbar nach der anderen! Ist hier tatsächlich der Bär los im Sommer? Schwer zu glauben, aber muß wohl. Auf einmal Fast-Vollbremsung, wir jubeln: ein Schwein am Spieß! Wir haben zufällig Hunger. Das Schwein entpuppt sich als Ziege oder so. Dazu gibt‘s Salat, gegrilltes Brot und eine Art Pommes Frites. Daß es uns so gut schmeckt, freut den Koch. Er spendiert uns als Zugabe etwas landestypisches vom Grill - mutmaßlich Innereien mit ??? umwickelt. Obendrein verwöhnt er uns zum Nachtisch noch mit Apfelschnitzen in Zimt und Honig. Gastfreundschaft über die Maßen! Wir fühlen uns mehr als willkommen!

BERAT

Wir ziehen weiter. Unterwegs gibt es nette Bilder zu schauen: Eselskarren, eine Gänseliesel, architektonische Absonderlichkeiten im privaten Häuslebau … Und einheimische Leckereien einzukaufen: Brot, Knoblauch, Honig und Olivenöl. Schließlich erreichen wir Berat und sind sofort beeindruckt von der Kulisse dieses Ortes, der auf der UNESCO-Weltkulurerbe-Liste zu finden ist. Die Straßen und Parks sind voller Menschen, z.T. recht aufwendig zurecht gemacht, als wäre Sonntag. Man flaniert, hält Schwätzchen und zeigt sich. Wir machen uns zu Fuß auf in die Altstadt und treffen schon nach ein paar Metern auf Leute, die uns nach woher und wohin fragen. Sie bemühen sich nach Kräften, uns behilflich zu sein und wollen uns sogar begleiten, damit wir den Weg nicht verfehlen. Die Alten Gassen, steil und winkelig, sind malerisch. Wir besuchen zuerst das Ethnologische Museum und tauchen ein in Albaniens Tradition. Ein netter Herr führt uns herum und versucht, uns auf Italienisch die Dinge näher zu bringen. Dann wagen wir den beschwerlich steilen Weg zum Castle hinauf. Und prallen überrascht an einer deutsche Reisegruppe ab. Studiosus?! Wir lassen sie etwas Abstand gewinnen und setzen uns unter einen Baum an einen Kaffeehaustisch. Neben uns sitzen einheimische Männer bei Kaffee und lassen sich, als wir ankommen, gerade Raki nachschenken (es ist eben erst 10 Uhr durch!). Einer der Herren gesellt sich zu uns und weicht für die nächste gute Stunde nicht mehr von unserer Seite. Er zeigt uns jeden Winkel, all die versteckten Zisternen und alten Grundmauern alter Kirchen, jeden Aussichtspunkt mit Panorama, die besten Fotomotive und erklärt und erklärt … in einem ganz eigenen italienisch,- albanisch-, anglisky-Gemisch … und pflückt von Zeit zu Zeit eine Blume für die Dame :o) Wir sind uns einig: er hat eine sehr angenehme Art sich „aufzudrängen“, unser selbsternannter Fremdenführer namens Wassili. Wir haben eine schöne Zeit mit und dank ihm und wir entgelten ihm das auch, das versteht sich.

SPILLE

Weiter geht es, grobe Richtung Tirana. Der Straßenzustand ist die Katastrophe! Wenn man nicht aufpasst und den Sitz auf max. Federungsgrad belässt, wird man zum Jojo. Irgendwann kommen wir auf die SH4, vierspurig, eine ausgewiesene Autobahn. Aber Obacht: hier überholt man regelmäßig Eselskarren, es kommen einem Mopedfahrer auf der eigenen Spur entgegen, es kann jederzeit wer aus einem kleinen Feldwege einbiegen und ab und zu gibt‘s Kreisverkehr! Wir suchen den Ort Spille und landen an einem unglaublich vermüllten Strandabschnitt – auf dem Balkan leider kein seltenes Phänomen. Flaschen, Plastik, verrostete Autowracks, alte Latschen (übrigens immer nur einer, nie Paare – wieso eigentlich?). Es ist grässlich! Wir gurken noch etwas über kleine, sandige Wege und uns gefällt nicht, was wir sehen. Also weiter Richtung Durrës, an Tirana vorbei nach Kruje. Die Stadt ist von besonderer Bedeutung, da hier auf der berühmten Burganlage Skanderbeg, Albaniens großer Nationalheld, einst aktiv war. Ein „Symbol für Tapferkeit, Mut und Willen zur albanischen Einheit“ schreibt der Reiseführer. Die Nationalflagge - der schwarze doppelköpfige Adler auf tiefrotem Hintergrund – sein Zeichen. Wir parken vor einem Kaffeehaus und sogleich begrüßt uns ein Mann mit Handschlag. Er lässt uns mit Händen und Füßen wissen, dass er auch schon einmal in Deutschland war, in Kehl. Er lädt uns zum Kaffe ein (für ihn gibt‘s Raki ) und ein weiterer Einheimischer sowie der Café-Besitzer unterhalten sich angeregt mit und über uns. Wieder die üblichen Fragen nach woher und wohin. Ein zufällig vorbei kommender Passant (ein Bekannter natürlich, denn hier kennt jeder jeden), der sehr gut Englisch spricht, wird zwecks besserer Verständigung mit eingespannt. Und als wir andeuten, dass unser Ziel der Basar weiter oben in der Stadt ist, wird schnurstracks ein Sohn angerufen, der uns direkt dorthin fährt. Wir werden sehr herzlich verabschiedet und man verspricht uns, in der Zwischenzeit gut auf das Auto aufzupassen. Das muß man sich mal umgekehrt denken: zwei Albaner parken in einer deutschen Stadt … Hier geht es weit touristischer zu als in allen anderen Orten, die wir bereits besucht haben. Man kann in Läden stöbern und traditionelle Handarbeit, feinen Silberschmuck, Tischwäsche und kunstvoll bestickte Trachten bewundern.

KOMAN-STAUSEE

Nächstes Etappenziel ist der Koman-Stausee. Der Plan ist, die Fähre über den See zu nehmen, und wir wollen unbedingt pünktlich sein, sie fährt schließlich nur ein Mal am Tag. Also 6 Uhr auf und los. Die 30 km lange Rumpel-Piste bis zum Fähranleger zieht sich dann auch erwartungsgemäß über eine Stunde hin. Wir fahren durch eine üppig grüne Gebirgskulisse, immer den türkisfarbenen See unter uns. Verkehr gibt es so gut wie keinen und wenn uns doch einmal jemand am Wegesrand begegnet, erwidert er winkend unseren Gruß. Kurz vor dem Ziel führt die Straße durch einen kurzen Tunnel. Er ist stockfinster, Wände nur grob behauen und macht am Ende einen unschönen Knick. Ein wenig Sorgfalt braucht es also, um nicht anzuecken. Den einen oder anderen KAT-Fahrer hat dieses Nadelöhr schon zur Umkehr bewegt, wie wir in Reiseberichten lasen. Der Ausgang des Tunnels ist gleichzeitig Ende des Weges, man fällt quasi direkt ins Wasser. Der Parkplatz ist "übersichtlich" und etliche Fahrzeuge sind bereits versammelt. Wohl dem, der früh dran und aus dem Tunnel raus ist. Erwartungsgemäß wird die Warteschlange irgendwann in den Tunnel hineinwachsen müssen, da wären wir nur ungern dabei. Wir haben Zeit, uns um- und den Menschen zuzuschauen. Unter den Wartenden wird etwas Handel getrieben: eine Frau kauft Fische, wir ein paar Erdnüsse, es gibt Plastikschuhe im Angebot und natürlich Kaffee und Raki uswusf. Die Fähre (ein wirklich etwas archaisch anmutender Kasten, wie im Reiseführer beschrieben) kommt pünktlich, das Verladen verläuft zügig. Es könnte losgehen, als plötzlich noch ein total klappriger Riesenlaster mit spritzendem und sprudelndem Kühler aus dem Tunnel brettert. Hoch aufragend mit Ziegelsteinen beladen und obendrauf noch ein gewaltiges Bündel Bewährungsstahl. Ach was, der hat dieselbe wackelige Straße, dieselben einspurigen, um die Ecke zu befahrenden Brücken ohne jegliche Randbegrenzung absolviert wie wir?! Na Halleluja! Auch er wird noch liebevoll rückwärts auf die Fähre bugsiert und dann gleiten wir mit ca. 13 km/h (eigene Messung) durch das überflutete Tal. Die Augen saugen sich voll. Wunderbare Berghänge, schroffe Felsen, malerisch versprengte Höfe, Bienenkästen, Wasserfälle …

VALBONA-TAL

Nach Verlassen der Fähre erwartet uns erst einmal wieder ein haarsträubendes Straßenstück, bis wir dann eine unglaublich intakte Art „Bundesstraße“ unter die Räder bekommen. Doch irgendwann auf dem Weg ins Valbona-Tal geht auch sie wieder in Schotterpiste über - aber sie ist immerhin im Bau! Nächstes Jahr um diese Zeit fährt man vermutlich auf Flüsterasphalt bis in den letzten Winkel des Tals. Wir rumpeln also voran, manövrieren uns an allerhand Baustellengerät vorbei. Alle Arbeiter grüßen ausnahmslos, weichen freundlich aus. Dann erreichen wir den perfekten Stellplatz:  unter niedrigen Nadelbäumen auf einer kleinen Erhöhung, links und rechts rauscht ein Fuß vorbei. Hier und da in Sichtweite auf den Hängen der 2000er, die uns schneebedeckt umzingeln, wohnen Einheimische. Und führt sie ihr Weg ein-, zweimal am Tag bei uns vorbei, dann wird ein Schwätzchen mit Zigarette und einem Glas Rotwein gehalten. Manchmal dient die staubige Lasterwand als Tafel, auf der Männerthemen illustriert werden. Keiner spricht die Sprache des anderen, aber was macht das schon? Es reicht völlig aus, zum Beispiel um sich zum Endspiel der Championsleague (die Bayern gegen Inter Mailand) zu verabreden. Abholung ist 20.30 Uhr - Donna, ein etwa 10jähriges Mädchen, kommt dafür zusammen mit ihrem Onkel extra von Berg herunter zum Laster. Ausgestattet mit der größten verfügbaren Handlampe (sowie Bier und Pflaumenmus als Gastgeschenke in den Jackentaschen) geht es im Dunkeln über Holzstämme, die als Brücken über die diversen Flussläufchen dienen, den gegenüberliegenden Berghang hinauf zum einzigen Haus im Ort, das Satellitenfernsehen hat. Brüder, Onkel, Cousins … das Haus ist voll und die Gastgeber bewirten und unterhalten und haben augenscheinlich einen Riesenspaß dabei. Auch wir bekommen ein Geschenk: eine große Colaflasche voll mit selbstgemachtem Honig! Die Bayern haben dann zwar verloren, aber die Gastfreundschaft wieder einmal gesiegt.

Wir bleiben am Ende vier Nächte dort. Wandern, lesen, abends gibt's ein Feuerchen und wir machen Urlaub vom Reisen. Von der Schule am anderen Flussufer hüpft ab und zu Donna herüber, wenn Pause ist – jedes Mal mit einer anderen Freundin am Arm. Und wenn es nicht Donna ist, die uns besucht, dann ist es ihr Bruder. Mal sammelt er mit uns Holz, dann bringt er mal einen platten Fußball, dem wir mittels Druckluft wieder auf die Sprünge helfen können, mal sitzt er mit uns bei einem Glas O-Saft am Feuer und studiert ganz interessiert unsere Straßenkarte von Albanien.


Eines späten Abends kommt ganz anderer Besuch: ein Opa klopft und überreicht uns begleitet durch eine lange, aber leider gänzlich unverständliche Rede eine große Cola-Flasche voll mit frischer Kuhmilch. Wieder ein Geschenk? Das ist doch nicht zu glauben! Wir können später sagen: das Valbona-Tal  ist ein Ort, wo Milch und Honig fließen :o) Der Mann kommt dann noch ein zweites Mal und bringt uns einen Brocken Gletschereis zum Kühlen der Milch. Eis vom Berg zu holen, stellen wir uns ungeheuer mühsam vor. Wir können nur hoffen, daß wir uns ihm gegenüber dafür angemessen dankbar erwiesen haben!!! Der Geschmack der Milch ist dann doch recht ungewohnt für unseren Gaumen. Aber es wird feinster Schokoladenpudding draus.

Wir haben die Menschen im Tal fest ins Herz geschlossen, aber wir müssen weiter. Erst noch ein paar hundert Liter Frischwasser aus dem Gebirgsfluß getankt und los geht's über die Berge um den See herum. Wir schleichen mit knapp über 20 km/h dahin. Serpentinen ohne Ende, auf und ab, links rum, rechts rum, Hupen vor jeder Biege zur Warnung. Doch Gegenverkehr gibt es so gut wie nie. Die Landschaft ist wundervoll! Bis zum Abend schaffen wir sagenhafte 146 km! Und haben uns bis auf 10 km an Kukës herangearbeitet. Es soll am nächsten Tag weiter nach Peshkopi gehen. Idealerweise über eine Straße entlang der Drin, einer Schluchtenstrecke mit zwei spannenden Brücken (Tragfähigkeit eher unbekannt). Wir fragen uns Stück für Stück voran, vorzugsweise bei LKW-Fahrern, die einhellig abnicken, dass man mit unserem Gerät die Strecke bewältigen kann. Doch unerwartet wird es verflixt eng und die Hänge sind sowas von in Bewegung - etliche nagelneue Straßenabschnitte liegen abgerutscht ein, zwei Meter tiefer als der Rest der Fahrbahn. Wir müssen aufgeben, zu unsicher. Es gibt nur eine alternative Route und die ist auf der Karte weiß eingezeichnet, also eher was feldwegartiges. Was ist jetzt besser, Pest oder Cholera? Beschluß: da kämpfen wir uns jetzt durch. Und es wird auch wirklich anstrengend. Der Weg ist eng, an beiden Seiten dicht mit Baum und Strauch bewachsen, Löcher noch und nöcher. Es kratzt, knallt, scheppert, katapultierte uns im Fahrerhaus in alle Richtungen. In manchen Dörfern hängen extrem tiefe Stromkabel, die wir sachte unterqueren. So geht das Stunde um Stunde. Keine Erholung, keine Entspannung. Wir treffen ab und an Leute. Aber keiner staunt etwa über unser Auftauchen aus dem Off. Hier kommen doch nicht etwa öfter Laster durch? Was für uns vor dem Hintergrund der Mühsal ganz und gar nicht selbstverständlich erscheint, ist für sie nur ein Anlaß für ganz normales freudiges Rufen und Winken. Immer wieder fragen wir mal jemanden nach dem weiteren Straßenverlauf. Ja ja, in ca. 5 km wird es besser. Ja ja, in ca. 10 km kommt wieder Asphalt. Ja ja, Pustekuchen. Am Ende waren´s gut 80 km Hardcorestrecke.


OHRID-SEE

Von Peshkopi aus führt uns der Weg weiter nach Mazedonien. Aus- und Einreise sind ganz unspektakulär. Die Straße wird immer besser und immer besser und auf einmal merken wir gar nicht mehr, worüber wir rollen. Es ist der pure Genuß. 60 km entlang der Drin. Wir schaffen es noch bis zum Ohridsee. Ein handgeschriebenes Schild an einem Abzweig verspricht einen Campingplatz. Na, das gab es ja hier noch nie, da biegen wir neugierig ab. Am Ende nix Camping, aber ein klitzekleiner Kieselstrand bietet uns dann doch genug Platz für die Nacht, direkt vor dem Eingangstor des Klosters von Kalishta. Die Erlaubnis dafür haben wir uns natürlich vorab im Kloster geholt. Und das schauen wir uns am nächsten Tag vor dem Losfahren noch an. Am interessantesten erscheint uns daran die alte Kirche, deren winzige Mönchszellen in einen gewaltigen Felsbrocken hineingeschlagen wurden, an den sich das Gebäude selbst anschließt, ihn z.T. umschließt. Sie stammt aus dem 14. Jahrhundert und ihre Fresken sind nur teilweise erhalten, aber dennoch wunderschön. Dann rollen wir zurück nach Albanien über Pogradec, weiter nach Korde, tendentiell in Richtung Griechische Grenze. Am Straßenrand sehen wir immer wieder Kinder Kirschen anbieten. Sie haben die Früchte irgendwie, es ist ganz unglaublich, zusammengebunden wir Zwiebelzöpfe. Einmal stehen wir am Ende einer Brücke und machen Mittagspause, als neben uns der Supermarkt hält: ein Mercedes Kleintransporter mit allem dabei, was der Bergbewohner fernab vom Schuß offenbar so braucht. Eine ältere Frau wartet bereits auf ihn. Neben ihr ihr Eselchen. Sie kauft Mehl im Sack, eine Gasflasche, Fanta, … der Esel wird beladen und wir haben Angst um ihn dabei. Aber er steckt die Last gut weg und trottet, von Mütterchen geführt, über die Brücke nach Hause – wo immer das sein mag.

Zu guter Letzt besuchen wir die Stadt Gjirokaster - UNESCO Weltkulturerbe wie Berat. Schon von weitem sieht man die steil am Hang errichteten Häuser und darüber die Burg. Wir halten darauf zu, machen noch ein gutes Stück zu Fuß und oben angelangt finden wir ein italienisches Wohnmobil vor. Na, der hat es gut! Bei fantastischer Aussicht, direkt vorm Burgtor! Kurze Zeit später glauben wir auch zu wissen, wem das Womo gehört. Es gibt gerade eine Ausstellung in der Burg, die nachgebaute Apparaturen Leonardo da Vinci’s zeigt. Der „Bastler“ selbst erklärt mit Verve die Funktionsweise - auf italienisch, eine andere Sprache beherrscht er nicht. Aber das tut der Begeisterung überhaupt keinen Abbruch! Er zeigt und erklärt uns alles. Wir erinnern uns an "unseren" Wassili, den hätten wir jetzt gerne! Aber diesmal ist keine Menschenseele weit und breit. Und auch die Gassen, durch die wir nach Verlassen der Burg kommen, sind erstaunlich leer. Kaum ein Lädchen offen. Hm. Zum Bleiben und Weiterbummeln lädt das nicht gerade ein. Also hauen wir unsere restlichen Lek an der Tanke für eine volle Ladung Diesel auf den Kopf und fahren nach Griechenland.

Der Grenzübertritt geht wieder reibungslos vonstatten. Aber was für ein Kontrast! Was eine Grenzlinie doch bewirken kann! Griechenland ist Albanien so nah und doch so anders. Der Straßenzustand wird von nun an kein erwähnenswertes Thema mehr sein. Wir durchfahren auf dem Weg nach Meteora etliche Tunnel der „norwegischen Klasse“. Alle Baustellenhinweise kommen zweisprachig – griechisch und englisch. Tausenderlei Schilder weisen den Weg. Was dadurch doch für eine Sterilität entsteht! Man sieht auf einer griechischen Autobahn keine Menschen, denen man zuwinkt und die daraufhin selbst die Hand kraftvoll zum Gruß erheben, über deren Gesicht dabei mit einem Mal ein offenes strahlendes Lächeln zieht …

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